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Meine Definition einer Armee? Eine Schar gezähmter Mörder, was sonst?
General Agamemnon, Memoiren
Aus den Tiefen seiner weit verstreuten Zitadellen der Macht wachte der Omnius-Allgeist über die Erde. Seine mobilen und stationären Augen zeichneten jedes Detail des kühnen Angriffs der Menschen auf. Er sah, wie sich das Schlachtenglück wendete.
Omnius studierte die Flugbahnen der mehreren tausend anrückenden Raumschiffe und zählte, wie viele davon durch seine Verteidigungsflotten zerstört wurden.
Trotzdem kamen etliche Atomwaffen durch.
Mit einer separaten Kalkulationsroutine führte Omnius über seine verlorenen Schiffe Buch. Für sich genommen war jede dieser Robotereinheiten entbehrlich und konnte jederzeit durch seine Produktionsanlagen ersetzt werden. Zum Glück war Seurats Update-Schiff durch die Reihen der angreifenden Hrethgir geschlüpft und hatte sich in die äußeren Regionen des Sonnensystems geflüchtet. Seine lebenswichtigen Gedanken und Entscheidungen würden nun die anderen Synchronisierten Welten erreichen.
Trotz der immensen Rechenleistung, die er für die Beantwortung der dringendsten Frage aufwandte, hatte Omnius immer noch keine Lösung für die Krise gefunden, als die ersten atomaren Sprengköpfe über ihm detonierten. Die in der Luft explodierenden Nuklearwaffen erzeugten elektromagnetische Pulse, die sich über die Oberfläche der Erde verbreiteten. Die Energiewellen löschten blitzartig jeden Gelschaltkreis und jeden Computergeist aus, als würde ein Funke auf ein mit Benzin getränktes Papiertuch fallen und es verpuffen lassen.
Der Terra-Omnius befand sich mitten in einem bedeutenden Gedankengang, als die Schockwelle ihn verbrannte.
* * *
Früher hatte der leidlich humoristisch veranlagte Robotercaptain keine Individualwaffen getragen. Vor hingegen hatte einen elektronischen Störsender dabei, der auf kurze Distanz Schaltkreise lahmlegte, ein Gerät für den Nahkampf gegen Denkmaschinen.
»Also bist du schließlich doch zu mir zurückgekehrt«, sagte Seurat. »Langweilen dich die Menschen bereits? Sie sind längst nicht so interessant wie ich, nicht wahr?« Er simulierte ein raues Lachen, das Vor schon viele Male gehört hatte. »Wusstest du, dass dein Vater dich als Verräter betrachtet? Vielleicht tut es dir jetzt furchtbar Leid, dass du mich deaktiviert und die Dream Voyager gestohlen hast, bevor du ...«
»Nichts dergleichen, alter Blechgeist«, sagte Vor. »Dies ist ein weiteres Spiel, das du gegen mich verloren hast. Ich darf nicht zulassen, dass du dieses Update auslieferst.«
Seurat lachte wieder. »Ach ja, die Menschen und ihre seltsamen Ideen.«
»Trotzdem bleiben wir auch in hoffnungslosen Fällen hartnäckig.« Vor hob den Störsender. »Und manchmal gewinnen wir schließlich doch.«
»Du warst mein Freund, Vorian«, sagte Seurat. »Erinnerst du dich an die vielen Witze, die ich dir erzählt habe? Ich habe sogar einen neuen für dich. Was bekommt man, wenn man das Gehirn eines Maulesels in einen Cymek ...?«
Vor aktivierte den Störsender. Zuckende Entladungen schossen wie dünne Drähte aus dem Gerät und hüllten Seurats gelenkigen Körper aus organischer Polymerhaut und Stützfasern ein. Der Roboter zitterte, als hätte er einen epileptischen Anfall. Vor hatte die Leistung so eingestellt, dass der Angriff Seurats Systeme deaktivierte, ohne dass sein Robotergehirn zerstört wurde. Alles andere wäre einem Mord gleichgekommen.
»Der Witz geht auf deine Kosten, alter Freund«, sagte er. »Tut mir Leid.«
Während Seurat erstarrt an der Konsole des Captains stand, durchsuchte Vor das Update-Schiff, bis er die versiegelte Gelsphäre gefunden hatte, die eine komplette Aufzeichnung aller Gedanken enthielt, die der Terra-Omnius kurz vor dem Überfall der Armada gedacht hatte.
Vor nahm die schimmernde Datensphäre in die Hand und warf einen letzten Blick auf seinen gelähmten Roboterfreund, dann verließ er das angeschlagene Update-Schiff und versiegelte die Luke von außen. Er brachte es nicht übers Herz, es zu vernichten. Zumindest stellte das Schiff nun keine Bedrohung für die Menschheit mehr dar.
Vor entfernte sich mit dem Kindjal und ließ das Raumschiff der Denkmaschinen im Vakuum des Weltraums treibend zurück. Ohne Energie und Steuerung würde es immer weiter von der Erde fortdriften, bis es sich in der eisigen Kometenwolke des Sonnensystems verlor.
* * *
Anschließend, während die Erde im Schein der Atombrände glühte, versammelte Segundo Harkonnen die verstreuten Überreste seiner Angriffsflotte. Sie hatten gewaltige Verluste erlitten, viel mehr, als sie erwartet hatten.
»Es wird Monate dauern, nur die Namen all jener niederzuschreiben, die hier ihr Leben ließen, Cuarto Powder«, sagte Xavier zu seinem Adjutanten. »Und noch viel länger, um alle zu betrauern.«
»Alle feindlichen Schiffe und Anlagen sind zerstört, Sir«, erwiderte Powder. »Wir haben unser Ziel erreicht.«
»Ja, Jaymes.« Doch er empfand keine Freude über diesen Sieg. Er war nur traurig. Und wütend auf Vorian Atreides.
Als Agamemnons Sohn schließlich aus dem Weltraum zurückkehrte, schickte der Segundo ihm eine Staffel Kindjals entgegen, die ihn unter schwerer Bewachung zurückbegleiten sollten. Voller Zorn schaltete er die Holtzman-Schilde ab, damit Vorians Schiff eingeschleust werden konnte. Etliche Piloten hätten ihn am liebsten abgeschossen, als sein Schiff in Reichweite kam, doch Xavier ließ es nicht zu. »Wir werden den Hund wegen Fahnenflucht vor Gericht stellen, vielleicht sogar wegen Hochverrat.«
Segundo Harkonnen betrat den Hangar auf dem untersten Deck des Ballista-Flaggschiffs, wo die Kampfjäger mit Kränen auf Gleitschienen an Bord geholt wurden. Alle Geräte wurden manuell von Menschen gesteuert.
Der schlanke, dunkelhaarige Vorian stieg aus seinem ramponierten Schiff und erweckte zu Xaviers Überraschung den Eindruck eines stolzen Siegers. Diese Dreistigkeit! Uniformierte Piloten nahmen ihn in ihre Mitte und untersuchten ihn grob auf Waffen. Der ehemalige Maschinendiener schien sich über diese Behandlung zu wundern und protestierte, als sie ihm ein kleines Paket und seine Handwaffe abnahmen.
Zu Xaviers Erstaunen hellte sich seine Miene auf, als er den Offizier sah. »Der Terra-Omnius konnte also zerstört werden? Der Angriff war ein Erfolg?«
»Auch ohne Ihre Mitwirkung«, sagte Xavier. »Vorian Atreides, ich befehle, dass Sie für die Dauer des Rückflugs nach Salusa Secundus unter Arrest gestellt werden. Dort werden Sie sich vor einem Tribunal der Liga für Ihre Feigheit verantworten müssen.«
Doch der junge Mann wirkte überhaupt nicht eingeschüchtert, sondern lediglich verblüfft. Er deutete auf das Paket, das einer der Wachmänner in der Hand hielt. »Dann sollten wir dem Tribunal vielleicht auch das hier zeigen.«
Vor blieb argwöhnisch, aber er grinste, als Xavier die Plazverpackung öffnete und einen metallisch schimmernden Ball herausnahm, der aus zähflüssigem Silber zu bestehen schien.
»Das ist eine vollständige Omnius-Kopie«, sagte Vor. »Ich habe ein Update-Schiff verfolgt und aufgebracht, das damit fliehen wollte.« Er zuckte die Achseln. »Wenn es mir entkommen wäre, hätten alle anderen Omnius-Inkarnationen die kompletten Informationen über unseren Angriff erhalten. Trotz unserer vielen Todesopfer hätte Omnius nichts verloren, und die anderen Synchronisierten Welten wüssten von unseren Holtzman-Schilden und welche Taktik wir eingesetzt haben. Die gesamte Operation wäre sinnlos gewesen. Aber ich habe das Update-Schiff aufgehalten.«
Xavier sah Vor verdutzt an. Die Oberfläche der Sphäre gab dem Druck seiner Finger nach, als wäre sie lebendes Gewebe. Die Liga hatte nie mit einem solchen Bonus gerechnet. Allein für diese kleine Kugel hätte sich der großmaßstäbliche Angriff auf die Erde gelohnt. Und die schrecklichen Verluste an Menschenleben. Falls Vor die Wahrheit sagte.
»Ich bin überzeugt, dass der Geheimdienst der Liga für dieses Geschenk ein Fass aufmachen wird«, sagte Vor strahlend. »Ganz zu schweigen von der Tatsache«, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu, »dass Omnius eine sehr wertvolle Geisel für uns abgeben würde.«
* * *
Die angeschlagenen Schiffe der vereinten Armada verließen das Sonnensystem, in dem sich nun keine menschenfeindlichen Denkmaschinen mehr befanden.
Vor warf einen letzten Blick auf die verwundete Erde und erinnerte sich an die üppigen blau-grünen Landschaften und weißen Wolken. Dieser Planet war einst eine sagenhaft schöne Welt gewesen, die Geburtsstätte der Menschheit, ein Paradies voller Naturwunder.
Doch als Xavier der Flotte befahl, auf Heimatkurs zu gehen, war der Planet nur noch ein radioaktiver Schlackehaufen. Es würde sehr lange dauern, bis hier wieder Leben existieren konnte.